In der Politik reicht ja offensichtlich ein gesundes Nichtwissen um eine Materie, um damit an die Presse zu gehen.
Von Schäuble ist seine technische Unversiertheit hinsichtlich Computern und Netzwerken ja bekannt. Kürzlich outete sich nun die bayerische Justizministerin Merk:
[…] Bayerns Justizministerin Dr. Beate Merk [sagte]: “[…] Damit Polizei und Staatsanwaltschaft hier angemessen reagieren können, brauchen wir jetzt endlich eine Rechtsgrundlage für die Online-Durchsuchung !” so Merk. “Nur so können wir die dahinter stehenden Netzwerke wirklich umfassend aufdecken. Erfreulicherweise gibt es zunehmend Unterstützung für diese Forderung, je mehr sich die Diskussion versachlicht”, so Merk.
“Bei einer sachlichen Diskussion gilt es insbesondere, mit einem Missverständnis aufzuräumen. Oft wird behauptet, man komme in diesen Fällen ja auch mit der “klassischen” Durchsuchung weiter. Das stimmt aber nicht. Denn häufig stehen die Ermittler vor dem Problem, dass sie zwar wissen, dass verbotene Inhalte ins Netz gespeist werden, aber nicht, wo der Server genau steht. Wie wollen Sie da mit einer “klassischen” Durchsuchung weiterkommen ? Außerdem: Wenn Sie einen Kinderpornographie-Ring zerschlagen wollen, nutzt es ihnen nicht, wenn Sie die Computer der Kunden beschlagnahmen und dadurch die Drahtzieher vorwarnen. Sie müssen vielmehr über einen längeren Zeitraum hinweg beobachten können, wo die Quelle liegt”, so Merk.
(Die fehlerhafte Zeichensetzung stammt aus der Orginalquelle.) Also, man wisse nicht, »wo der Server genau steht«, weshalb die herkömmliche Durchsuchung und Beschlagnahmung nicht möglich sei.
Aha.
Wie aber kommt jetzt die – für diese Zwecke unweigerlich notwendige und derzeit auch illegale – hoheitliche Spionagesoftware auf diesen Server, dessen Standort man nicht kennt? Ich fürchte mal, es wird nicht ausreichen, daß drei Kommissare sich an die Hand nehmen und sich ganz fest wünschen, den Server mit der Software zu infizieren …
Licht ins Dunkel der amtlichen Naivität brachten jüngste Äußerungen aus dem Umfeld von BKA und Innenministerium: lt. verschiedenen Berichten (vgl. auch heise online, tagesschau.de, netzpolitik.org) denkt man tatsächlich daran, die Bundesschadsoftware als Attachment an gefälschte Behördenmails dem Objekt der staatlichen Neugierde unterzujubeln.
Das kann man sich das wie vorstellen? So etwa?
From: einwohnermeldeamt@guetersloh.de (Einwohnermeldeamt) To: your@email.address Subject: Dringende Datenkorrektur!!!1!elf! Sehr geehrte/r Bürger/in, in ruhtinemäßigen Unterzuchungen ißt festgestählt worden, daß Ihre Daten vielleicht falsch Erfast vorden sind. Bite fühlen Sie den angehängeten Fragebgen aus und bringen ihn uns uebermorgen vorbei! Andernfalls können Wir aufgrund Gesetz ein Strafgelt von bis zu 500,00 Euro verhängen. Vielen Dank, Ihre Behoerde Attachment: Unterlagen.pdf.exe
Nee, Jungs, iss klar. Derlei Dumpfbackenunsinn ist mit ein Grund, warum ich never ever meine Steuererklärung ‘ner diebischen Elster anvertrauen und zukünftig mehr denn je mit der Verwaltung ausschließlich papierschriftlich verkehren werde. Mal abgesehen davon, daß ich i. d. R. nicht dieses supraleicht infizierbare Fenstersystem verwende.
Sicher schützt mich die Verwendung von Linux per se nicht vor euren coolen Unikaten an Bundesschadsoftware; aber ich kann ganz bestimmt besser schlafen, erst recht wenn ich weiß, daß Ihr eben nicht wißt, ob ich grade auf einem MC68k-, SPARC-, AXP- oder x86-getriebenen Rechner meine Mails abrufe … Oder auf meinem N95. Oder per Webmail. Und ich weiß, das renattach derlei plumpe Angriffe von Euch vereiteln würde — selbst, wenn sie den Virenscanner bislang getäuscht hätten. (Und dabei gehe ich gar nicht darauf ein, daß multiple, hintereinander geschaltete, Scanner heute schon Usus sind.)
Ich wiederhole mich wahrscheinlich: wer in der Lage ist, logistisch einen 11.09. durchzuziehen, der klickt meines Erachtens nicht willkürlich auf Attachments von irgendwelchen Absendern — anders offensichtlich als deutsche Bundesbedienstete. Und anders als allem Anschein nach die staatlichen Stellen, leisten sich doch wahrscheinlich die, die unter sich bleiben wollen, auch schon mal einen – auch kostenlos erhältlichen – Antivirenscanner, ‘nen Rootkitdetektor, aktivieren die Firewall auch für ausgehenden Verkehr und setzen wahrscheinlich auf Ende-zu-Ende-Verschüsselung. Kurz: sie sind, mit Verlaub, kaum so strunzdoof, wie man sie wohl gerne hätte.[sup]*[/sup]
Sehr schön ist auch die jetzt schon verbal vorgenommene Ausweitung des noch lange nicht rechtlich zulässigen Angriffs auf die informationelle Selbstbestimmung unschuldiger Bürger: während der amtierende BKA-Chef noch von »schlicht und einfach […] fünf bis maximal zehn solcher Maßnahmen im Jahr« spricht und damit die Tragweite abzuwiegeln versucht, spricht der amtierende niedersächsische Innenminister schon schon mal vorsorglich von »zehn, zwölf Mal im Jahr« und überbietet das BKA flugs um zwei Aktionen im Jahr (Einzelpreis, wenn ich das richtig verstanden habe, um 200.000 EUR).
Also, meiner unbescheidenen Meinung nach könnte man langsam anfangen zu prüfen, ob die Union nicht als verfassungsfeindliche Organisation verboten werden sollte; V-Männer braucht es hierbei lustigerweise ja nicht, getreu dem Wunschbild des struntznaiven Terroristen plappert man hier alle seine wirren Wünsche munter ins nächsterreichbare Mikrofon. Ich erinnere nur an Schäubles Forderung nach präventiver Tötung Verdächtiger — den Boden des deutschen Rechtsstaates scheinen mir hier zumindest intellektuell schon einige verlassen zu haben.
Oder ich habe ihn nicht verstanden, kann auch sein; war der Beitritt der DDR zur BRD gar nur ein großes publizistisches Ablekungsmanöver und in Wirklichkeit war es genau anders herum?
Bitte wecke mich mal jemand, dieser Alptraum wird erdrückend …
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